Auch bei uns im Kreis Wesel finden wir immer mehr Tierarten, die ursprünglich in unserer Region nicht zu Hause waren. Sie haben den Weg an den Niederrhein überwiegend durch beabsichtigte oder unbeabsichtigte Verschleppung, teils aber auch aus eigener Kraft gefunden und haben sich – oft begünstigt durch den Klimawandel – in unserer Landschaft in vielen Fällen bereits fest etabliert. Es handelt sich überwiegend um Arten, deren Ursprung in anderen Bioregionen wie Amerika oder Ostasien liegt, und die entweder durch den globalen Handel (als blinde Passagiere) oder durch bewusste Einfuhr (z.B. als Pelztier oder zur Schädlingsbekämpfung) zu uns gelangt sind. Solche Arten werden als Neozoen bezeichnet. Aber auch etliche ursprünglich in Europa einheimische Arten, die früher aber nur in Klimagunstgebieten (Weinbauklima) oder gar südlich der Alpen vorkamen, konnten sich im Zuge der immer wärmer werdenden Temperaturen in den letzten Jahren bis zu uns ausbreiten.
Der bekannteste und auffälligste Neubürger ist sicherlich die Nutria. Das auch als Sumpfbiber oder Biberratte bekannte, große Säugetier hat wohl ein jeder schon einmal an einem niederrheinischen Gewässer gesehen. Vom recht ähnlichen Biber unterscheidet es sich v.a. durch den im Querschnitt runden Schwanz und die geringere Körpergröße. Und während unsere Biber sehr heimlich und so gut wie ausschließlich nachtaktiv sind, sind die Nutrias an vielen unserer Gewässer regelmäßig auch bei Tage zu sehen. Die ursprüngliche Heimat der Nutrias sind die Gewässer des subtropischen und gemäßigten Südamerikas zwischen Südbrasilien und Feuerland, wo die Art wegen ihres begehrten Pelzes früher erbarmungslos gejagt wurde und zeitweise kurz vor der Ausrottung stand. Nach Europa wurden erste Tiere schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeführt, um sie in zahlreichen Pelztierfarmen zu züchten. Von dort entkommene oder freigesetzte Tiere bilden den Grundstock der heute vorhandenen, fast flächendeckenden Nutriapopulation. Problematisch ist die Nutria vor allem deshalb, weil sie ihre geräumigen Baue gerne in Deiche gräbt und diese damit destabilisieren kann. Auch kann ihr Fraß an der Ufervegetation die betroffenen Lebensräume sehr stark zum Nachteil dort lebender einheimischer Tierarten verändern.
Ebenfalls bewusst nach Europa eingeführt und noch allgegenwärtiger als die Nutria ist der Asiatische Marienkäfer, der mittlerweile zu den häufigsten Marienkäferarten Deutschlands gehört. Ihn zu beschreiben fällt schwer, denn er tritt in einer großen Vielzahl unterschiedlicher Färbungsvarianten auf. Grundfarbe und Anzahl der Punkte sind nicht festgelegt, so dass als sicherstes Erkennungsmerkmal die typische Zeichnung des Halsschildes herangezogen werden kann - wobei es auch hier diverse Abweichungen gibt. Eingeführt wurde die ursprünglich aus Ostasien stammende Art, die auch als Harlekinmarienkäfer bekannt ist, gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts zur biologischen Schädlingsbekämpfung, da sie ein sehr effektiver Blattlausvertilger ist. Wohl von Frankreich aus verbreitete sich die Art in rasanter Geschwindigkeit schon bald über ganz Europa und baute zunächst sehr hohe Populationsdichten auf, die befürchten ließen, die Art könne so manche einheimische Marienkäferart komplett verdrängen. Doch wie bei vielen invasiven Arten flachten die Dichten nach der Erstbesiedlungsphase wieder spürbar ab und gegenwärtig ist die Art zwar immer noch sehr häufig, scheint aber keine akute Gefahr mehr für die alteingesessenen Arten darzustellen, die heute offenbar recht gut mit der invasiven Art koexistieren können.
Ebenfalls aus Ostasien kam – höchstwahrscheinlich mit Pflanzenimporten - der Buchsbaumzünsler zu uns. Seit den ersten Nachweisen Anfang der 2000er Jahre bei Basel hat sich die attraktive Art in schnellem Tempo über ganz Deutschland ausgebreitet und ist heute quasi flächendeckend präsent. Auch dabei hat der Pflanzenhandel eine entscheidende Rolle gespielt. Den Kreis Wesel erreichte der Zünsler übrigens spätestens im Jahre 2016. Wie der Name bereits andeutet, ist die Art streng an Buchsbaumpflanzen gebunden, an denen sich die Raupen entwickeln, und die - zum Leidwesen der Gärtner - in der Folge starken Befalls durch den Zünsler häufig absterben. Da der Buchsbaum in Deutschland aber fast ausschließlich angepflanzt vorkommt, sind die Verluste aus allgemein ökologischer Sicht nicht weiter schlimm, denn es sind ja fast ausschließlich Gartenpflanzen betroffen. Tragischer wirkt sich die Anwesenheit des Zünslers dagegen in Wildvorkommen des Buchsbaumes aus, von denen es in Deutschland ohnehin nur sehr wenige gibt. So wurde ein Buchswald bei Lörrach 2010 durch den Zünsler komplett zerstört und die wilden Buchsbaumgebüsche an der Mosel dürften über kurz oder lang ebenfalls akut gefährdet sein.
Ein weiterer, mittlerweile bei uns häufiger Neubürger ist die Amerikanische Zapfenwanze, die eigentlich nirgendwo fehlt, wo es Kiefern gibt, an deren Blüten und jungen Samen die Tiere bevorzugt saugen. Ursprünglich nur im Westen der Rocky-Mountains verbreitet, eroberte die Art zunächst ganz Nordamerika und kam dann auf ungeklärtem Wege nach Europa, wo sie im Jahre 1999 zum ersten Mal in Norditalien dokumentiert wurde. Die ersten Funde aus Deutschland datieren aus dem Jahr 2008 und im Kreis Wesel ist die auffällige Wanze mit den merkwürdig verbreiterten Hinterbeinen spätestens seit dem Jahre 2017 vertreten. Da die Tiere auf der Suche nach einem warmen Winterquartier gerne in unsere Häuser einfliegen, werden sie besonders häufig im Herbst beobachtet.
Eine andere invasive Wanzenart hat unseren Landkreis erst in den letzten Jahren erreicht - die Marmorierte Baumwanze. Diese weist im Vergleich zur Zapfenwanze ein ungleich höheres Schadpotential auf, da sie bezüglich ihrer Wirtspflanzen nur wenig wählerisch ist und eine Vielzahl von Nutzpflanzen befällt, was zu größeren Ernteeinbußen in der Landwirtschaft führen kann. Die ursprüngliche Heimat der Wanze liegt wiedermal in Ostasien, von wo sie wahrscheinlich über Warentransporte sowohl nach Nordamerika als auch nach Europa eingeschleppt wurde. Der erste europäische Nachweis erfolgte 2004 in der Schweiz, in Deutschland wurde sie erstmals im Jahre 2011 bei Konstanz gefunden und hier bei uns im Kreis Wesel wird sie seit 2020 beobachtet. Die Art ähnelt sehr der einheimischen grauen Gartenwanze, doch sind bei dieser die transparenten Flügelspitzen gepunktet, während sie bei der invasiven Art kurze Längsstrichel aufweisen. Charakteristisch für die marmorierte Baumwanze ist u.a. auch die helle Fleckenreihe am Übergang vom Brustteil zum dreieckigen Schildchen sowie die charakteristische Fühlerringelung, die sich von der der grauen Gartenwanze deutlich unterscheidet. Ähnlich wie bei der Amerikanischen Zapfenwanze werden die Tiere häufig im Herbst im Bereich menschlicher Behausungen gefunden, wo sie ein warmes Versteck für den Winter suchen und sich bis zum Frühling gerne unter sonnenexponierten Fassadenverkleidungen verkriechen.
Fast ebenso hoch wie das der Marmorierten Baumwanze ist das Schadpotential bei der Grünen Reiswanze - auch sie befällt eine Vielzahl von Nutzpflanzen und kann zu schmerzlichen Ernteverlusten führen, unter anderem auch, weil sie beim Saugen Pilzkrankheiten überträgt. Die Grüne Reiswanze stammt wahrscheinlich ursprünglich aus Ostafrika und wurde von dort unbeabsichtigt in die Tropen und Subtropen der ganzen Welt verschleppt, so dass es sich derzeit um eine der weltweit am weitesten verbreiteten Wanzenarten handeln dürfte. Doch auch bei uns in den gemäßigten Breiten kommt die Art - wahrscheinlich infolge des Klimawandels - immer besser zurecht. Nachdem sie sich am Oberrhein bereits in den 2010er Jahren etabliert hat, wird sie seit 2020 auch bei uns am Niederrhein beobachtet. Die erwachsenen Tiere sind leicht mit unserer einheimischen Grünen Stinkwanze zu verwechseln, doch tragen die Larven ein unverwechselbares Muster (s. Foto).
Ein Neubürger, der nicht aus fernen Ländern stammt, sondern schon immer an wärmebegünstigten Orten Süddeutschlands vorkam, ist die Südliche Eichenschrecke. In alten Feldführern aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird sie noch als seltene Art dargestellt, die in Deutschland nur im warmen Breisgau zu finden sei. Doch hat es die Art seither - trotz ihrer Flugunfähigkeit - bemerkenswerterweise geschafft, sich entlang des Rheines immer weiter nordwärts auszubreiten. Den Kreis Wesel erreichte sie dabei spätestens im Jahre 2010 und sie ist bei uns gegenwärtig keine Seltenheit mehr. Mittlerweile ist die Heuschrecke bis an die Nordseeküsten Belgiens und der Niederlande vorgedrungen und hat auch weite Teile des restlichen Deutschlands besiedelt. Diese Ausbreitung hat sie sicher nicht allein hüpfend hinbekommen – vielmehr dürfte passive Verschleppung durch Handel und Verkehr auch bei dieser Art eine große Rolle bei ihrer Ausbreitung gespielt haben.
Ganz ähnlich verhält es sich mit der beeindruckenden Gottesanbeterin – auch sie war, als eigentlich mediterran verbreitete Art, früher nur in wenigen Wärmeinseln Süddeutschlands zu finden. Doch auch sie breitet sich schon seit Jahren immer weiter nach Norden aus und hat im Jahr 2023 endlich auch den Kreis Wesel erreicht, wie zwei Funde aus dem Diersfordter Wald belegen. Man darf gespannt sein, ob sich auch dieses imposante Insekt bei uns etablieren und flächendeckend verbreiten kann. Es könnte sich also lohnen, zukünftig im Bereich wärmebegünstigter Magerrasen und Heiden des Kreisgebietes die Augen nach der beeindruckenden Fangschrecke offenzuhalten, die trotz ihrer Größe, infolge ihrer perfekten Tarnung nur schwer zu entdecken ist.
Ein ganz besonderer Fall ist der in den letzten Jahren bei uns immer häufiger zu beobachtende Kleine Sonnenröschen-Bläuling. Dieser kleine Tagfalter kam früher nur in Gegenden vor, in denen seine Raupennahrungspflanzen, nämlich verschiedene Sonnenröschenarten wuchsen. Diese Pflanzen sind Arten der basenreichen Magerrasen über Kalkgesteinen, wie wir sie etwa in der Eifel vorfinden können - am gesamten Niederrhein kommen Sonnenröschen dagegen nicht vor. Irgendwann um die Jahrtausendwende herum passierte dann etwas sehr Ungewöhnliches, denn der kleine Bläuling begann, neben den nur inselhaft verbreiteten Sonnenröschen eine neue Pflanzengattung für sich zu nutzen, die in Deutschland quasi flächendeckend verbreitet ist. Dabei handelt es sich um einige kleine Vertreter der Storchenschnäbel, die auch bei uns in jedem einigermaßen nährstoffarmen Lebensraum zu finden sind. In der Folge gelang es dem Bläuling, sich schnell über weite Teile des Landes auszubreiten. Nachdem die Art bereits 2014 in Duisburg auftauchte, konnte sie im Jahr 2015 erstmals auch im Kreis Wesel nachgewiesen werden. Seither hat sie sich hier nahezu flächendeckend verbreitet und kann in allen passenden Lebensräumen beobachtet werden. Doch Vorsicht: Die in beiden Geschlechtern braunen Falter mit der orangenen Fleckenreihe ähneln oberseits sehr den Weibchen des Gemeinen Bläulings, die zumeist auch in den selben Lebensräumen fliegen wie die Sonnenröschenbläulinge.
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