"Kann es sein, dass die arktischen Gänse immer früher kommen, ich habe jetzt im August schon große Gänseschwärme gesehen?"
"Den Gänsen scheint es bei uns zu gefallen, die fliegen gar nicht mehr weg!"
Diese und ähnliche Bemerkungen hören die Mitarbeiter der Biologischen Station häufig zur Sommerzeit. Und tatsächlich kann man in den letzten Jahren nahezu ganzjährig Gänseschwärme am Niederrhein beobachten. Aber vom April bis in den Oktober hinein handelt es sich bei solchen Gruppen nicht um arktische Gänse (Saat-, Bless- und Weißwangengans), sondern um "Sommergänse" - unter diesem Sammelbegriff fassen wir Gänsearten zusammen, die am Niederrhein brüten und sich hier ganzjährig aufhalten.
Bei der Graugans handelt es sich um einen alten Niederrheiner. Bis vor wenigen Jahrhunderten war die Art noch über allen Tief- und Flussebenen des gemäßigten Teiles Europas verbreitet, bis die zunehmende menschliche Besiedlung und die damit verbundene Landschaftsveränderung und intensive Nutzung die Graugans aus großen Teilen Europas verdrängte. Anfang des 20. Jahrhunderts brüteten nur noch östlich der Elbe größere Graugansbestände. In den 1960er und 1970er Jahren wurden, vornehmlich aus jagdlichem Interesse, an mehreren Orten (u.a. auf der Bislicher Insel bei Xanten) wieder Graugänse eingebürgert. Seit Ende der 1970er Jahre hat sich die Art über nahezu die gesamte Niederrheinebene verbreitet.
Im Gegensatz zu der erfolgreichen Wiederansiedlung der Graugans handelt es sich bei der Kanadagans um eine Neuansiedlung. Sie kam ursprünglich ausschließlich in Nordamerika vor, wurde jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus jagdlichem Interesse in mehreren europäischen Ländern ausgesetzt, wo sie mittlerweile große Bestände gebildet hat. In Nordrhein-Westfalen wurde die Art in den 1980er entlang der Ruhr ausgesetzt. Diese Population hat sich stetig ruhrabwärts verbreitet und erreichte Ende der 1980er Jahren die Rheinebene zwischen Duisburg und Düsseldorf.
Neben diesen beiden "echten Gänsen" haben sich in den letzten Jahrzehnten noch drei Arten der Halbgänse bei uns angesiedelt. Halbgänse nehmen vom Verhalten und den anatomischen Merkmalen her eine Zwischenposition zwischen den Enten und den Gänsen ein. Zu dieser Gruppe gehören die Brandgans, die Rostgans und die Nilgans.
Die Brandgans ist ein Küstenvogel, der erst seit den 1950er bei uns brütet. Die Art hat das Rheinland aus eigenem Antrieb besiedelt und wird meist als Paare oder in kleinen Gruppen beobachtet.
Die Rostgans ist eine enge Verwandte der Brandgans und hat ihr natürliches Verbreitungsgebiet in Südosteuropa, Zentralasien und Teilen Nordafrikas. Aus Nordafrika und Südosteuropa, wo der Bestand stark rückläufig ist, gibt es regelmäßig größere Einflüge nach Westeuropa. Infolge dieser Einflüge oder aus Gefangenschaftsflüchtlingen baute sich in den 1970er Jahren eine kleine Brutpopulation bei Wesel auf, die sich mittlerweile über große Teile der rheinnahen Flächen des Kreises verbreitet hat.
Die Nilgans besiedelte früher Afrika, den mittleren Osten und Südosteuropa, ist gegenwärtig jedoch auf Afrika südlich der Sahara beschränkt. Bereits im 17. Jahrhundert wurden Nilgänse gerne in Vogelsammlungen gehalten. Gelegentliche Gefangenschaftsflüchtlinge überlebten meist nicht den Winter und waren nicht in der Lage, sich fortzupflanzen. Diese Situation änderte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch dramatisch und dank milder Winter und Silagehaufen schafften es die Vögel seit den 1980er Jahren, sich regelmäßig im Freiland fortzupflanzen. Seitdem hat sich die Art über große Teile des Niederrheins verbreitet.
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